Interview mit dem abgetretenen Blick Sportchef Klaus Zaugg (September 2007) 

Steckbrief:
Name: Zaugg
Vorname: Klaus
Geburtsdatum: 13.02.1957
Berufliche Situation: Freischaffender Publizist
Wohnort: 4944 Auswil
Zivilstand: geschieden, eine Tochter (Milena, 18)
Hobbys: Lesen, Reisen (vor allem im südlichen Afrika).

Interview: André Sägesser

 

"Ich hatte noch nie ein Stadionverbot wegen meinen Artikeln"

Der einflussreichste Schweizer Eishockeyjournalist ist der 50-jährige Klaus Zaugg. Der Emmentaler wurde als Chef Eishockey beim Blick zur lebenden Legende. Jedoch sind nicht alle Eishockeyfans von seiner Meinung immer begeistert. Das Urner Wochenblatt hat den Start zur neuen Eishockeysaison zum Anlass genommen, sich mit Klaus Zaugg über das Schweizer Eishockey, die Medien und natürlich den HC Ambri-Piotta zu unterhalten.


Klaus Zaugg, Sie sind seit 24 Jahren Sportjournalist. Im Bereich Eishockey bilden Sie nicht selten Meinungen die in Stadien und Stammtischen diskutiert werden. Welchen sportlichen Leistungsausweis können Sie ausweisen? Haben Sie jemals aktiv Eishockey gespielt? 
Klaus Zaugg: Der sportliche Leistungsausweis kommt aus dem Fussball, Als Torhüter Aufstieg in die 4. Liga und die Nummer zwei in der 3. Liga beim FC Langnau zu Beginn der 1980er Jahre. Das ist allerdings schon eine Weile her. Eishockey habe ich nie gespielt und ich denke, dass dies kein Nachteil ist. Ich kann nicht mal auf den Schlittschuhen stehen (lacht).

Sie sind seit einigen Wochen nicht mehr Chef der Blick Eishockeyredaktion. Ein Sprichwort sagt: einmal Journalist, immer Journalist. Was gedenken Sie in der nahen Zukunft zu machen?
Zaugg: Das ist eine gute Frage. Ich weiss es noch nicht. Vielleicht nehme ich mal eine Auszeit. Nach mehr als 20 Jahren intensivster Arbeit hätte ich das dringend nötig. Vielleicht schreibe ich auch ein Buch. Wahrscheinlich werde ich in der Eishockeyszene bleiben. Aber sie haben Recht: Einmal Journalist, immer Journalist. Denn dieser Beruf ist eine Leidenschaft.

Ihre Meinung zu Themen im Schweizer Eishockeys polarisieren, nicht selten wird zum Boykott gegen Sie aufgerufen. Es gab schon ein Fanclub des SC Bern, der zu Massenmails an Ihre Adresse aufgerufen hatte. Wie gehen Sie mit solch gereizten Situationen um? 
ZAUGG: Ich schreibe nicht, um geliebt, sondern um gelesen zu werden. Wer direkt schreibt was er denkt, macht sich gerade in der Schweiz, dem heiligen Land des Kompromisses, keine Freunde. Und ich denke, dass ein schöner Teil der Journalisten den Druck nicht aushält, unbeliebt zu sein und die Konfrontation scheut. Mein Grundsatz war immer: Nie wegen Sympathien zu einem Spieler, Trainer, Präsidenten oder Manager oder aus Angst vor der Reaktion des Publikums auf eine gute Story verzichten. Und den Mut zu haben, nach jeder Story im „feindlichen“ Stadion aufzutauchen. Im übrigen möchte ich hier erwähnen, dass es entgegen anders lautenden Gerüchten noch nie ein Stadionverbot gegen mich gegeben hat und dass ich nie von einem Gericht wegen meiner journalistischen Tätigkeit verurteilt worden bin.

Gibt es dann auch Eishockeyspieler oder Sportchefs, die sich aufgrund Ihrer schmerzenden Recherchen oder vernichtenden Kritiken sagen: „Mit dem Zaugg sprech’ ich nicht mehr“? Ist evtl. Ambri Sportchef Peter Jaks einer von Ihnen?
ZAUGG:
Sie müssen die Frage anders herum stellen: Spreche ich mit jedem? Spass beiseite: Natürlich tue ich das, das gehört zu den Grundregeln des Geschäftes. Ich gebe jedem die Chance, mir seine Ansichten darzulegen und hie und da hat es halt Exponenten gegeben, die diese Chance nicht genutzt haben. Rückblickend darf ich sagen, dass mir jene die besten Infos gesteckt haben, von denen erzählt worden ist, sie würden niemals mehr mit mir parlieren. Und gerade die besten Informanten haben sich oft mit der Aussage geschützt „mit dem rede ich sicher nicht.“ Mit Peter Jaks verstehe ich mich sehr gut. Erstens schätze ich seine Kompetenz – von ihm kann ich immer etwas lernen – und zweitens mag ich seinen Sinn für Humor. Er mag vielleicht meinen nicht so ganz – da müssen Sie ihn aber schon selber fragen...

Das Eishockey hat in den 24 Jahren, in dem Sie journalistisch tätig sind, eine grosse Veränderung durchlaufen. Auch die Medienlandschaft ist um einiges reicher geworden, letztendlich erhielten Sie Konkurrenz von Internetmedien. Wie gehen Sie mit diesen Veränderungen um? Gerade ja aufgrund technischer Möglichkeiten sind die Online-Medien „von Natur aus“ schneller als ein Printmedium. 
ZAUGG: Für mich sind diese grossen Veränderungen kein Problem, eher eine Chance. Gerade in Zeiten des Internets braucht eine Zeitung News, die noch nicht im Internet verbreitet worden sind und profilierte Meinungsmacher. Ich mag den Internet-Journalismus und arbeite unter anderem seit 2000 als Internet-Kolumnist für die WM-Webseite des Internationalen Eishockeyverbandes (ihwc.net). Aber sie haben schon recht: Die Veränderungen in der Medienwelt sind gross. Aber andererseits ist guter Journalismus gleich geblieben: Kompetenz, gute Schreibe, exklusive Informationen und Mut zur Meinung sind und bleiben das A und O der Arbeit – ob auf Papier oder im Internet.

In ihren Berichten sprechen Sie viel vom Eishockey in Nordamerika. Wie würden Sie die Verhältnisse in der NHL und in den unteren Ligen etc. für unsere Leser beschreiben. Was haben Sie dort punkto Hockey erlebt?
ZAUGG: Ich habe mehr als 50 Reisen nach Nordamerika „in die NHL“ gemacht. Ich mag die Art und Weise, wie dort der Sport als Teil des Unterhaltungsgeschäftes präsentiert wird. Der gegenseitige Respekt ist grösser als bei uns, in jeder Beziehung. Denn nur was respektiert wird, ist wertvoll. Am meisten fasziniert mich der Respekt vor der Geschichte, die Art und Weise wie die Tradition als wichtiger Bestandteil der Eishockeykultur gepflegt wird und so Eishockey vor allem in Kanada zu einem Teil der Kultur des Landes geworden ist. Grundsätzlich gilt: Die Gründe, warum eine Mannschaft in der NHL Erfolg hat oder eben nicht, sind die genau gleichen wie bei uns. Trainer und Manager werden so schnell gefeuert wie bei uns. Alle die Erlebnisse zu schildern würde den Rahmen dieses Interviews sprengen, ich habe mal ein Buch darüber geschrieben („Die Liga der Titanen“). Doch eines will ich hier erwähnen: Ich war beim Spielerdraft 1997 in Pittsburgh. Der Draft geht im Stadion über die Bühne und die Klubs haben auf der Eisfläche ihre Tische und das Ganze dauert den ganzen Tag. Es ist also viel Zeit zum plaudern. Der damalige Sportdirektor von Colorado fragte mich, ob David Aebischer wohl nach Nordamerika komme, wenn er gedrafted werde. Seine Scouts würden Aebischer empfehlen, aber er traue der Sache nicht ganz. Ich sagte ihm, er solle Aebischer nehmen. Im Laufe der nächsten Stunde kam er noch dreimal und fragte, ob ich denn wirklich sicher sei und ich sagte schliesslich: Ja, der würde sogar im Ruderboot rüberkommen, wenn er eine Chance für die NHL bekommt. Aebischer wurde gedraftet. Ich habe oft gedacht: Was wäre wohl geworden, wenn ich von einem Draft abgeraten hätte? Mir ist da bewusst geworden, dass jedes Wort, jeder Satz, jede Beurteilung Folgen haben kann und dass man sich dieser Verantwortung immer bewusst sein sollte.

Kommen wir noch auf den HC Ambri-Piotta zu sprechen. Die Tessiner bringen es während Jahrzehnten fertig, eine NLA Mannschaft in die Meisterschaft zu schicken. Was bedeutet für Sie als Emmentaler der Mythos Ambri? Gibt es etwas vergleichbares zum Leventiner Verein?
ZAUGG: Was Ambri unvergleichlich, was den „Mythos Ambri“ ausmacht ist der Respekt vor der Geschichte. Die Art und Weise, wie alle, die einmal für Ambri etwas getan haben, respektiert und geehrt werden. Dieser Zusammenhalt hat wirklich etwas Familiäres und ist in dieser Art und Weise in unserem Eishockey absolut einmalig. Dazu kommt die Kombination aus der eher ernsthaften, schwermütigen Bergwelt und der lebensfrohen lateinischen Kultur. Uns schwerblütigen Emmentalern fehlt leider diese lateinische Leichtigkeit des Seins.

Im neu erschienenen Slapshot Hockey-Guide lassen Sie dem Verwaltungsrat des HCAP, insbesondere Präsident Gian-Paolo Grassi und Vize Davide Mottis kein gutes Haar. Was muss in Ambri geschehen, dass der Club auch die nächsten 70 Jahre überleben kann?
ZAUGG: „Kill the lawyers first“. Dieser Rat an einen König der wissen wollte, wie er Frieden im Lande bekommen könne, lässt sich aufs Eishockey übertragen. Rechtsanwälte sind sehr oft das Unglück des Sportes, wenn sie nicht nur als Berater, sondern als Präsidenten fungieren und an die Macht kommen. Denn sie können nicht aus ihrer Haut fahren, sie wollen immer Recht haben und Kompromisse und Diplomatie sind nicht ihre Sache. Aber das Sportmanagement ist die Kunst, besser zu sein als die Konkurrenz und sich doch mit dieser Konkurrenz immer wieder zu verständigen. Ambri hat in der jüngsten Vergangenheit Schaden an seiner Seele genommen und es ist absurd, dass ausgerechnet Ambri mit seinem so ausgeprägten Sinn für die Familie seinen besten Einzelspieler wegen Streitereien verloren hat. Das haben Gian-Paolo Grassi und Davide Mottis zu verantworten. Sie haben meinen grössten Respekt für ihr Engagement in Ambri und sie mögen gute Rechtsanwälte und tüchtige Geldbeschaffer sein. Aber sie haben für mein Empfinden zu oft wie die Männer von Lugano gesprochen. Ihre Vorgänger – darunter waren auch Juristen – hatten mehr Charisma, Schlauheit und eine tiefere Verbundenheit mit Ambris Kultur. Was in Ambri geschehen muss? Ganz einfach: Die Unterschiede zur Konkurrenz und vor allem zu Lugano hegen und pflegen, nicht reden und denken wie die Generäle in Lugano. Die Geschichte ehren, den Spielern und Fans dieses Gefühl vermitteln, einer Familie anzugehören. Dafür Sorgen, dass es in Ambri immer Caffé Chicco D’Oro gibt – und eine neue Arena bauen. 

Trainer und Spieler kommen und gehen- Ambri aber bleibt bestehen. In Ihrer Prognose verpasst der HC Ambri-Piotta abermals die Playoffs. Ist die Mannschaft von Trainer Jan Tlacil wirklich so schwach oder können die Leventiner zur Überraschungsmannschaft der Liga werden?
ZAUGG: Die Erfahrung lehrt uns, dass fast jedes Jahr einer der Favoriten unter den Erwartungen bleibt und einer der „Nobodies“ über sich hinaus wächst. Bei einer Prognose stellt sich für Ambri die Frage: Wen können wir hinter uns lassen? Okay, es ist möglich, besser zu sein als Langnau, Basel und Fribourg. Aber für die Playoffs muss Ambri noch eine vierte Mannschaft hinter sich lassen – und diese vierte Mannschaft sehe ich diesmal nicht. Ambri hat durchaus das Potenzial zur Überraschungsmannschaft. Aber dann muss alles stimmen: Eric Westrum und Zdenek Kutlak müssen zu den besten Ausländern der Liga gehören, Trainer Jan Tlacil muss die Spieler für sich gewinnen, jeder einzelne Spieler muss ein wenig über sich hinauswachsen, die dritte und vierte Linie muss dazu in der Lage sein, sich gegen jede gegnerische Formation zu behaupten, Torhüter Thomas Bäumle muss wieder so spielen, dass er ein Thema für die Nationalmannschaft ist, der Verwaltungsrat und das Management müssen den Trainer kompromisslos stützen, wenn sich die Spieler über seinen harten Führungsstil beklagen und schliesslich darf sich keiner der wichtigen Spieler verletzen. Die Chance, dass das alles zutrifft, ist eher klein.

Sie haben eine lange Erfahrung darin, Entwicklungen junger Spieler und deren spätere Transfers zu analisieren. Wie denken Sie werden die Karrieren der jungen Wilden Grégory Sciaroni, Daniele Marghitola, Mauro Zanetti etc. beim HC Ambri-Piotta verlaufen?
ZAUGG: Das grösste Entwicklungspotenzial bis hin zum Nationalspieler hat Grégory Sciaroni. Er gehört zu den besten Schweizern ab Jahrgang 1990. Zurzeit sehe ich in Ambri keinen anderen Junior mit diesem Potenzial. 

Zum Abschluss noch die Frage nach den Tops und Flops der Schweizer Meisterschaft 2007/08 und natürlich den ultimativen Meistertipp des Experten.
ZAUGG: Hm, eine Antwort auf solche Fragen ist der sicherste und direkteste Weg in die Blamage. Ich wage es trotzdem, weil ich mal davon ausgehe, dass niemand diese Zeitung bis im Frühjahr aufbewahrt. Meistertipp: SC Bern. Fünf Flops: Basels Yves Sarault, Zugs Michal Grosek, Berns Reto Kobach, Fribourgs Shawn Heins, Zürichs Thibaut Monnet,. Fünf Tops: Berns Ramzi Abid, Fribourgs Sébastien Caron, Luganos Marty Murray, Langnaus Mathias Joggi, Fribourgs Gil Montandon.